Artikel 10 Abs. 2 Bst. b URG legt fest, dass der oder die Urhebende das alleinige Recht hat, «Werkexemplare anzubieten, zu veräussern oder sonst wie zu verbreiten». Somit hat der oder die Urhebende das Recht zu entscheiden, ob und wann er oder sie das Werk der Öffentlichkeit zugänglich macht. Das Recht zur Verbreitung umfasst jegliche Verfügung (Veräusserung oder Übertragung des Eigentums) in Bezug auf ein Exemplar eines Werks (Cherpillod I. in: de Werra/Guilliéron (Hg.), CoRo, Propriété intellectuelle, S. 85).
Im Zusammenhang mit den sozialen Medien stellt sich die Frage, ob die Übermittlung eines Werks im Netz, bei der beispielsweise bei der Abfrage einer Webseite eine vorübergehende Kopie erstellt wird oder die zum Herunterladen eines Werks auf einen dauerhaften Träger führt, eine Verbreitung darstellt (Cherpillod I. in: de Werra/Guilliéron (Hg.), CoRo, Propriété intellectuelle, S. 86).
Diese Frage lässt sich derzeit kaum beantworten, da in der Lehre diesbezüglich keine Einigkeit herrscht. Nachdem die URG-Revision von 2007 das Verbreitungsrecht, ausdrücklich festgeschrieb, sind einige Autorinnen und Autoren derzeit der Ansicht, dass das Recht auf Verbreitung sich ausschliesslich auf physische Exemplare bezieht. Nach diesem Ansatz stellen die verschiedenen Kommunikationen, die aus der Funktionsweise eines IT-Netzwerks hervorgehen, keine Verbreitung dar, sondern einen Spezialfall des Zugänglichmachens, der auch die Verbreitung umfasst (Cherpillod I. in: de Werra/Guilliéron (Hg.), CoRo, Propriété intellectuelle, S. 86). Mit anderen Worten verbreiten Nutzende, die beispielsweise eine Videoaufnahme online stellen, kein Exemplar des Werks. Es steht aber ausser Frage, dass andere Vermögensrechte (Zugänglichmachen oder Vervielfältigen von Werken) geltend gemacht werden können (Rebetez M., Internet, les réseaux sociaux et le droit d’auteur, S. 61).
Andere Autoren und Autorinnen gehen von dem Grundsatz aus, dass das Zugänglichmachen und die Verbreitung zwei verschiedene Handlungen darstellen. Nach diesem Ansatz entspricht das Online-Stellen eines Werks mittels sozialer Medien, sodass Dritte dieses Werk on demand einsehen können, einem Angebot des betreffenden Werks an eine Öffentlichkeit. Somit liegt ein Verstoss gegen das Recht zur Verbreitung vor.
GUT ZU WISSEN
In der Praxis haben die Kontroversen zur Übermittlung von Werken mittels sozialer Medien und der Frage, ob dies einen Verstoss gegen das Verbreitungsrecht darstellt, kaum Auswirkungen. Wenn man der Ansicht ist, dass das Recht zur Verbreitung sich nur auf physische Exemplare bezieht, so führt die Übermittlung des Werks doch in jedem Fall dazu, dass es vervielfältigt oder zugänglich gemacht wird. Diese beiden letztgenannten Handlungen unterliegen in jedem Fall der Genehmigungspflicht durch die betroffenen Urhebenden.