4.2.2 Verbreitung eines Werks

Urheberin und Urheber haben das Recht, Werkexemplare anzubieten, zu veräussern oder sonst wie zu verbreiten (Art. 10 Abs. 2 lit. b URG).

Grundsätzlich haben Urheber das Recht, zu bestimmen, ob, wann und wie sie ihre Werke in die Öffentlichkeit bringen (Erstveröffentlichungsrecht). Dazu bestimmt das Verbreitungsrecht die Art und Weise, wie ein Urheber sein Werk an die Öffentlichkeit bringen kann. Er kann es anbieten, vermarkten, verkaufen, verleihen, vermieten und auch verschenken. Jegliche Formen und der Umfang der Verbreitung (z.B. Anzahl, Auflage, Zeit – Wann, Ort – Wo) sind vom Verbreitungsrecht erfasst. Unwesentlich ist, ob das Verbreitungsobjekt ein Original oder ein Vervielfältigungsstück ist (vgl. Hilty, Urheberrecht, 2011, 135 f.).

Erschöpfungsgrundsatz

Überträgt also ein Urheber sein Eigentum am Werk auf einen Dritten (z.B. durch Verkauf, Tausch oder durch Schenkung) oder stimmt er einer solchen Übertragung zu, dann hat er sein Werk “erstmalig veräussert”. In dem Fall darf der Dritte dann das Werk ohne weitere Zustimmung des Urheber frei weiterveräussern (verkaufen, verschenken, tauschen) oder sonstwie verbreiten, z.B. vermieten oder verleihen. Der Erschöpfungsgrundsatz schränkt also das Verbreitungsrecht der Urheber ein, indem sie mit der Weggabe ihres Werkexemplars auch ihr Recht auf Verbreitung verlieren. Allerdings verlieren sie keine anderen Rechte – sowohl alle anderen Verwendungsrechte aus Art. 10 Abs. 2 URG sowie die Urheberpersönlichkeitsrechte bleiben bei den Urhebern.

z.B. Werke aus einem Archiv eines Künstlers, welches er einer Bibliothek geschenkt hat, darf die Bibliothek zwar ohne seine Einwilligung weiter verleihen; sie darf die Werke jedoch nicht vervielfältigen (Verwendungsrecht aus Art.10 Abs. 2 lit. a URG). Ist ein Werk dieses Archivs vom Künstler sogar noch gar nicht erstveröffentlicht worden, darf die Bibliothek auch nicht die Erstveröffentlichung vornehmen (Urheberpersönlichkeitsrecht aus Art. 9 Abs. 2 URG)

Für den Verlust des Verbreitungsrechts werden Urheber grundsätzlich nicht entschädigt. Dennoch besteht für Urheber unter den Voraussetzungen des Art. 13 URG die Möglichkeit, finanziell beteiligt zu werden (ausführlich unter: “Werkexemplare der Literatur und Kunst”).

Vom Erschöpfungsgrundsatz nicht erfasst sind die Fälle, in denen Urheber einem Dritten nur den Gebrauch des Werks überlassen, insbesondere bei Vermietung oder Verleih. Hat also der Dritte eine Pflicht, das Werk wieder an den Urheber zurückzugeben, dann gilt der Erschöpfungsgrundsatz nicht und der Urheber hat weiterhin das alleinige Verbreitungsrecht.

GUT ZU WISSEN

Miete und Leihe

Sowohl bei Vermietung (oder Abschluss eines Mietvertrags Art. 253 OR) als auch bei einer Leihe (oder Abschluss eines Leihvertrags Art. 305 OR) wird einem Dritten eine Sache zum Gebrauch mit Rückgabepflicht überlassen. Essentieller Unterschied ist allerdings, dass bei einer Vermietung ein Mietzins für die Sache zu entrichten ist; bei einer Leihe hingegen brauchen keinerlei Entgelte gezahlt werden.

Werkexemplare der Literatur und Kunst

Bei der Vermietung – also der entgeltlichen Gebrauchsüberlassung – von Werkexemplaren der Literatur und Kunst ist im Hinblick auf den Erschöpfungsgrundsatz die Regelung aus Art. 13 URG zu beachten. Gemäss dem Erschöpfungsgrundsatz darf diejenige Person, die das Eigentum am Werk vom Urheber eingeräumt bekommt, dieses auch entgeltlich vermieten. Gemäss Art. 13 Abs. 1 URG schuldet diese Person dem Urheber oder der Urheberin eine Vergütung, wenn das vermietete Werk ein “Werkexemplar der Literatur und Kunst “ ist.

Als Werke der Literatur und Kunst gelten nur körperliche Werke, also Werke die im Rahmen einer Vermietung auch tatsächlich einem Dritten überlassen werden können (z.B. Bücher, CDs etc.) und bei denen es eine Rückgabepflicht gibt. Nicht darunter fällt, wenn Werke online zur Verfügung gestellt werden.

Weiterhin muss das Werk vom Vermieter entgeltlich vermietet werden; eine Leihe fällt nicht darunter, da hier ein Gegenstand kostenlos überlassen wird. Jährliche Mitgliedsbeiträge, einmalige Einschreibegebühren oder Verwaltungsgebühren werden nicht als Entgelt angesehen (vgl. Hintergrund ist, dass Urheber an den Mieteinnahmen beteiligt werden sollen, auch wenn sie ihr Eigentum am Werk aufgegeben haben. Allerdings können Urheber die Vergütung nicht direkt beanspruchen; die Vergütung kann nur von einer zugelassenen Verwertungsgesellschaft geltend gemacht werden.

Praxisrelevant ist diese Regelung vor allen Dingen für Bibliotheken: Eigentlich verleihen Bibliotheken Bücher (also “Werkexemplare der Literatur und Kunst”) unentgeltlich. Allerdings erheben die meisten Bibliotheken einen Mitglieds- oder einen Nutzerbeitrag. Doch liegt darin ein “entgeltliches Zurverfügungstellen” vor – d.h. fallen Bibliotheken in den Anwendungsbereich von Art. 13 Abs. 1 URG? Eine genauere Definition nimmt der Gemeinsame Tarif (GT) 6a, “Vermieten von Werkexemplaren in Bibliotheken” für das Vermieten von Werkexemplaren in Bibliotheken vor. Jährliche Mitgliedsbeiträge, einmalige Einschreibegebühren oder Verwaltungsgebühren werden nicht als Entgelt angesehen (vgl. Ziff. 1.4 GT 6a). Erheben also Bibliotheken in Entgelte als jährliche Mitgliedschaftsbeiträge, was bei vielen Bibliotheken der Fall ist, dann sind sie nicht vergütungspflichtig nach Art. 13 Abs. 1 URG.

FAQ

4.2.2-3 Darf ein Foto, welches eine Urheberin einem Dritten mit dem Vermerk “nicht zur weiteren Verwendung” schenkt durch den Dritten wieder verkauft werden?

Grundsätzlich ist ein solcher Vermerk auf einem Werkexemplar wegen des Erschöpfungsgrundsatzes und den Schrankenbestimmungen unerheblich. Etwas anderes ergibt sich, wenn das Foto noch nicht durch den Urheber erstveröffentlicht wurde und der Urheber das Foto ausdrücklich mit der Auflage schenkt, das Foto nicht weiter zu verbreiten. Denn nur allein dem Urheber gebührt das Recht der Erstveröffentlichung (Art. 9 Abs. 2 URG); dieses ist ein Urheberpersönlichkeitsrecht und wird vom Erschöpfungsgrundsatz nicht berührt (vgl. Barrelet/Egloff, Das neue Urheberrecht, 3. Aufl., 2008, Art. 12 N. 9a und 10).

4.2.2-9 Gibt es Ausnahmen der Regelung nach Art. 13 Abs. 1 URG, also Vermietungen ohne Vergütungspflicht an den Urheber bzw. die Verwertungsgesellschaften?

Ja, diese sind in Art. 13 Abs. 2 URG geregelt. Hiernach muss keine Vergütung geleistet werden bei:

4.2.2-11 Müssen Bibliotheken eine Vergütung nach Art. 13 Abs. 1 URG zahlen und wenn ja, an wen?

Bibliotheken sind gemäss Art. 13 Abs. 1 URG vergütungspflichtig, wenn sie für die Ausleihe Entgelte verlangen. Was genau unter einem Entgelt verstanden wird, regeln Ziff. 1.3. 1.3. and 1.4. Gemeinsamer Tarif 6a, Vermieten von Werkexemplaren in Bibliotheken. Dieser ist zwischen der Verwertungsgesellschaft ProLitteris und den Bibliotheken abgeschlossen. Sofern Bibliotheken für die Ausleihe Entgelte erheben, müssen sie die Vergütung gemäss Art. 13 Abs. 1 URG an ProLitteris leisten. Die Vergütung für Bücher beträgt 9 % der von den Benutzern bezahlten Entgelte (vgl. Ziff. 4.1 lit. c. GT 6a).